Mein Diabetes wurde im Oktober 1941 Gottseidank sehr schnell diagnostiziert, so dass ich schon wenige Tage nach Auftritt der ersten Symptome meine erste Insulinspritze verpasst bekam. Wenige Monate später fuhr meine Mutter mit mir nach Garz, wo ich dann eine angepasste Grundeinstellung und meine Mutter eine ausführliche Diabetes-Schulung bekam. Deswegen habe ich auch heute noch das „Diabetiker-Tagebuch“, das meine Mutter nach dem Garz-Besuch geführt hat.
Die kritische Zeit um das Ende des Weltkrieges überlebte ich durch einen tragischen Zufall: In unserem Ort gab es einen älteren Herrn, der ebenfalls Diabetes hatte (ich vermute es war Typ-2-Diabetes). Dieser Mann hatte in weiser Voraussicht der zu erwartenden Probleme einen größeren Insulin-Vorrat angelegt. Und dann ist er kurz vor Ende des Krieges verstorben. Seine Witwe brachte die Insulinvorräte zu meiner Mutter. Mit diesem Insulin habe ich die kritischen Wochen rund um das Kriegsende überlebt. Inzwischen war natürlich die Grundeinstellung aus Garz für mich (inzwischen 5 Jahre alt) nicht mehr angemessen. Ergebnis: Mein Stoffwechsel „entgleiste“. Ich bekam das, was man „Hungeraceton“ nannte. Darum brachten meine Eltern mich 1946 (kurz nach meiner Einschulung im August 1945) nach Berlin in die Klinik von Professor Sandmeyer, wo ich eine angemessene Neueinstellung bekam. Irgendwann – ich glaube ich war schon etwa 12 Jahre alt – fing ich an, meine Spritzen selbst zu machen.
Dann habe ich bis 1957 die Schule in der DDR besucht und während der letzten Jahre (ca. 1953-1957) jährlich meinen „Diabetes-Urlaub“ in Karlsburg bei Professor Monike verbracht.
Nach dem Abi wollte man mich in der DDR nicht studieren lassen- deshalb ging ich nach Westberlin und machte die sogenannte „Abi-Ergänzungs-Prüfung“ für „Ostabiturienten“.
Danach begann ich ein Physik-Studium an der Freien Universität, wohnte aber immer noch bei meinen Eltern in der DDR. Da ich die Absicht hatte, mein Studium als „Geophysiker“ zu beenden, aber nicht so recht wusste, was da auf mich zukommt, beschloss ich ein Semester auszusetzen und ein entsprechendes Praktikum bei einer Firma für „Praktische Lagerstättenforschung“ zu absolvieren.
Ich reiste also – als DDR-Bürger „illegal“ – nach Westdeutschland und sucht am Bodensee nach Erdöl. Da kam mir dann ein gewisser Walter Ulbricht in die Quere. Er baute in Berlin eine Mauer und schnitt damit meine wirtschaftliche „Nabelschnur“ zu meine Eltern ab. Ich musste also ganz schnell zu einem permanenten Einkommen kommen. Wie schon so oft in meinem Leben half mir mein „Schutzengel“ weiter. Ich fand einen Job bei einer großen Firma, die Computer (oder wie man damals meistens sagte „Elektronengehirne“) herstellte. Bei dieser Firma habe ich dann 32 Jahre lang als EDV-Berater gearbeitet.
Da musste ich natürlich viel herumreisen, in Kantinen essen, in Hotels übernachten, was dem Diabetes sicher nicht so richtig zuträglich war. Aber ich stellte mir damals eine Lebensdevise: Ich will lieber nur 50 Jahre alt werden und alles mitmachen, als 80 Jahre alt zu werden und alles verpasst zu haben.
So kam es, dass ich von da an ein geradezu extrem „normales Leben“ lebte. Zwar immer mit der Spritze in der Tasche, aber ohne sonstige Rücksichtnahme. Meinen Diabetes managte ich „nach Gefühl“. Mein erstes Blutzuckermessgerät leistete ich mir, nachdem ich 40 Jahre lang Insulin gespritzt hatte.
Im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit – und auch privat – bin ich ganz schön viel in der Welt herumgereist und habe alles genossen, was genießbar ist. (Ich war allein etwa 14 mal in USA).
Nach den 32 Jahren im Dienste meines ersten Arbeitgebers wurde ich in den „Vorruhestand“ versetzt. Das war mir aber zu früh. Darum habe ich mich danach als „Selbständiger Berater“ reaktiviert und bin noch zehn Jahre lang kreuz und quer durch Deutschland gereist und habe meine alten Kunden beraten, denn die Tätigkeit war immer so interessant gewesen, dass ich einfach nicht aufhören wollte. Nun bin ich allerdings schon seit mehr als zehn Jahren Rentner und genieße weiter das Leben und meine privaten Reisen und Hobbies.
Ich selbst bin inzwischen 76 Jahre alt, mein Diabetes ist 74 und ich habe ihm versprochen, dass sein 80. Geburtstag ganz groß gefeiert wird.
Veröffentlicht: 2015