Wolfgang Jung

(67 Jahre Diabetes)
Wolfgang-Jung

Im Sommer des Jahres 1956 stellten meine Eltern fest, dass mit ihrem Kind wohl etwas nicht in Ordnung war. Völlig abgemagert und immer durstig wurde ich dem Hausarzt vorgestellt. „Der Junge hat Zucker“ lautete die eindeutige Diagnose. Eine Welt muss für meine Eltern zusammengebrochen sein; niemand wusste etwas über die Krankheit und konnte eben so wenig damit umgehen.

Zweimal spritzen pro Tag war nun angesagt, für mich als Kind eine furchtbare Tortur. Die Nadel war so dick wie ein Nagel und musste nach jeder Injektion mit der Glasspritze ausgekocht werden. In der Angst, irgendetwas falsch zu machen, wurde ich von jeglichen sportlichen Aktivitäten ferngehalten. „Das ist nichts für dich“ hieß es dann oder „das darfst du nicht“. Aus heutiger Sicht natürlich völlig falsch, aber meine Eltern wussten es nicht besser.

Der Diabetes hinderte mich damals nicht daran, den Kindergarten und die Schule wie ein gesundes Kind zu besuchen. Da an eine Glukose-Selbstmessung noch lange nicht zu denken war, bin ich vermutlich über viele Jahre mit deutlich überhöhten Blutzuckerwerten unterwegs gewesen. Als einzige gemeinsame Aktion mit Jugendlichen erinnere ich mich an eine Jugendfreizeit mit diabetischen Kindern in Eppenbrunn (Pfalz).

Immer wieder war ich seit Ende der 60er-Jahre zur Einstellung des Insulin-Kohlenhydrat-Verhältnisses im Krankenhaus Sachsenhausen in Frankfurt (früher C. von Noorden Klinik. Dr. Lampè hat mich damals eingestellt). In den Folgejahren haben dann Dr. H. F. Schaefer und Prof. Rosak die Klinik geführt, heute Ralf Jung, ein Glücksfall für die Klinik und die Patienten. Ich kann mir kein besseres Haus für eine Diabetesbetreuung vorstellen.

Nach der Schule zog ich 1971 nach Bonn und begann ein Pädagogik-Studium. Viele Exkursionen im In- und Ausland gehörten zum (Biologie)-Studium, was für die Aufbewahrung des Insulins manchmal zum Problem wurde. Immer noch gab es keine Möglichkeit, den Blutzuckerspiegel selbst zu bestimmen. Hypo- und Hyperzustände waren an der Tagesordnung.

Im Studium lernte ich meine Frau kennen. Der Gedanke “wie geht meine Partnerin mit dem Diabetes“ um, war natürlich präsent. Bei vielen Bergtouren mit mehrtägigen Hüttenwanderungen, auch in Skandinavien mit dem Zelt, war der Diabetes natürlich immer „dabei“, aber das Leben kreiste nicht um ihn herum.
Im Beruf als verbeamteter Lehrer und mit einer Lehrerin verheiratet, konnte ich auf regelmäßige Mahlzeiten und Bewegung gut achten. Der Wohnwagen wurde bei uns zum normalen Urlaubsdomizil. Inzwischen wuchs die Familie auf sechs Mitglieder (drei gesunde Kinder und ein Dackel). Ganz Europa haben wir in den Ferien bereist. Sechs Wochen USA mit dem Wohnmobil sind unvergesslich. Die permanente Selbstversorgungsmöglichkeit beim Camping ist natürlich ein großer Vorteil für einen Diabetiker. Mit 46 Jahren habe ich dann noch meinen Motorradführerschein nachgeholt und bin in einer sehr netten „Seniorengang“ einmal jährlich europaweit auf Tour gewesen. All dies ließ sich mit dem Diabetes gut vereinbaren, wenn man „mit“ dem Diabetes und nicht „für“ den Diabetes unterwegs ist.

Nach mehr als 60 Jahren Diabetes kommen allerdings so einige Wehwehchen ans Tageslicht. PAVK-Beschwerden wirke ich entgegen, indem ich mit meinem Dackel (es ist schon der 3.) jeden Tag im Wald unterwegs bin. Zwei Bypässe an den Herzkranzgefäßen, Laserbehandlungen am Augenhintergrund und leichte Einschränkungen der Nierenfunktion sowie eine CPAP Schlafmaske muss ich akzeptieren. Mit einem CGM System, regelmäßiger Bewegung inkl. Gartenarbeit bin ich immer noch mit dem Wohnwagen auf Deutschland Campingplätzen anzutreffen.

Rückhalt und Lebensfreude habe ich immer in meiner Familie gefunden. Drei gesunde Kinder und sechs gesunde Enkelkinder halten mich fit. So hoffe ich, auch noch „70 Jahre Gesundheit trotz Diabetes“ einigermaßen fit zu erleben.

Veröffentlicht: 2023

Teilnehmer-Geschichten

IMG-20240608-WA0019

Heinz Schomaker

50 Jahre Diabetes
Bild-2

Christa Schölzel

54 Jahre Diabetes
IMG_2440

Bernhard Mattes

71 Jahre Diabetes