Siegfried Schünzel

(64 Jahre Diabetes)
Siegfried Schünzel

Bei mir wurde 1958 Diabetes mit 4 Jahren vom Hausarzt festgestellt. Er kam zu uns mit dem Fahrrad. Ich war in einem komaartigen Zustand mit viel Durst. Der Arzt war sich zunächst vom Krankheitsbild unsicher. Als er bei mir einen Azetongeruch aus dem Mund als Folge einer möglichen Überzuckerung wahrnahm, wurde ein Taxi zum Kinderkrankenhaus bestellt (auf dem Fahrrad hätten wohl nicht alle Platz gehabt). Ich hätte nicht viel später eingeliefert werden dürfen. Dort bekam ich nach der Diabetes-Diagnose eine Insulinspritze. Am selben Tag ging es mir auf dem Arm einer Ordensschwester schon besser.

Zum damaligen Zeitpunkt gab es nur Insuline vom Schwein und Rind. Glasspritzen und lange/dicke Kanülen, worauf sich Widerhaken bildeten, mussten täglich sterilisiert werden. Dazu wurde ein Topf Wasser auf dem Herd erhitzt und darin die Spritzen & Nadeln für 10 Minuten gekocht. Meine Mutter hatte vor den Spritzen mehr Angst als ich. Sie spritzte mir das Insulin in die Oberschenkel. Oft musste sie dabei ihre Tränen unterdrücken. Mit ca. 4,5 Jahren sagte ich zu meiner Mutter: „Mama, lass mal, ab jetzt spritze ich mich selbst.“ Es funktionierte!

Ein Blutzuckermessgerät besaß nur der Arzt. Und nur einmal im Monat durfte eine Messung durchgeführt werden. Zuhause war nur eine vage Urinzuckermessung mit Teststreifen möglich. Plastikspritzen mit kleineren Nadeln sowie ein Blutzuckermessgerät gab es erst lange Jahre später. Heute verwende ich Insulinpens. Zur Glukosemessung nutze ich eine sensorbasierte Technologie mit Warnhinweisen bei Unter- und Überzuckerungen, was insbesondere nachts sehr hilfreich ist.

In den 50er Jahren litt ich unter vielen Unterzuckerungen. Bei einer nächtlichen Hypoglykämie wachte ich mit Angst und Leere im Kopf auf und fing laut an zu schreien. Meine Eltern sowie mein jüngerer Bruder haben darunter oft gelitten und wenig Schlaf gefunden. Manchmal wurde ich erst im Krankenhaus wieder wach.

Durch meinen Diabetes lernte ich bereits in jungen Jahren Disziplin und Verantwortung. Ich musste auf mich aufpassen. Und das tat ich auch überwiegend. Ich habe mich gerne sportlich betätigt: ca. 30 Jahre Vereinsfußball, 5 Jahre Jiu Jitsu und etwa 15 Jahre bis heute Fitnessstudio.

Ich lebe recht diszipliniert ohne Übertreibungen. Trotzdem esse und trinke ich in Maßen was mir schmeckt. Nur bei einer höheren Ausgangsglucose folge ich zum Spritz-Ess-Abstand (SEA). Ansonsten schaue ich erst, was auf dem Teller liegt, bevor ich zum Pen greife.

Auch nach 64 Jahren Diabetes habe ich aktuell keine Folgeerkrankungen, vermutlich habe ich gute Gene.

Trotz Diabetes war mein Berufsleben erfolgreich; als GmbH-Geschäftsführer mit hoher Personalverantwortung, auch während meiner Selbständigkeit sowie als ehrenamtlicher Handelsrichter beim Landgericht Düsseldorf.

15 Jahre lang nahm ich als Proband an klinischen Studien in der Diabetesforschung teil.

In den sozialen Medien bestehen Diabetes 1 Gruppen, die gut vernetzt sind. Hier bin ich vor einigen Jahren Mitglied geworden, um insbesondere jungen Menschen ihre Ängste zu nehmen und Mut auszusprechen. Bei vielen Fragen reicht meist mein Hinweis als Antwort, dass ich schon 64 Jahre Diabetes Typ 1 ohne Folgeerkrankungen habe, noch zweimal wöchentlich ins Fitnessstudio gehe und mir das Bier immer noch schmeckt.

Veröffentlicht: 2022

Teilnehmer-Geschichten

IMG-20240608-WA0019

Heinz Schomaker

50 Jahre Diabetes
Bild-2

Christa Schölzel

54 Jahre Diabetes
IMG_2440

Bernhard Mattes

71 Jahre Diabetes