Als junger Familienvater mit 25 Jahren und zwei Kleinkinder wollte ich so richtig ins Leben starten. Ich war sportlich tätig, hatte eine verantwortungsvolle Tätigkeit in der Industrie und einen Garten. Ich war rundum völlig ausgelastet, dennoch fühlte ich mich nicht wohl. Auf jedem Stuhl oder Sessel, auf die ich mich setzte, schlief ich ein. Bis zum zweiten Frühstück trank ich bereits vier Flaschen Limonade und das steigerte sich. Unser Betriebsarzt wusste keinen Rat, aber ein Glukosetest schaffte Klarheit mit 380 mmol/l und Azeton positiv. Während der vier Wochen Klinikaufenthalt hatte ich Zeit nachzudenken und habe mich entschieden, nach vielen Gesprächen mit Arzt und Schwestern, den „Zucker“ anzunehmen. Auch meine Familie machte mir Mut. Am schwersten hatte es meine Frau, denn die Ernährung für Diabetiker war zu damaliger Zeit nicht leicht und ich bin ihr heute noch dankbar. Allein schafft man es nicht. Sogenannte „Diät-Ware“ gab es im „Diät-Laden“, reichte aber oft nicht aus.
Ich wurde Karlsburg-Schüler und nutzte meinen Aufenthalt aus, immer mehr über den Diabetes und seinen Umgang zu erfahren. Der heutige Prof. Michaeles war damals mein Stationsarzt und ein guter Lehrmeister, wenn man wollte. Die damalige starre Behandlung mit der CT und nur Harnzuckerkontrolle, engte die persönliche Freiheit sehr ein bei meinem labilen Stoffwechsel mit ständiger Neigung zur Azetoni. Eine gute Vertrauensbasis mit meiner Diabetologin ermöglichte mir die Nutzung von Glycurator-Reagenz und ich konnte mit der Insulingabe etwas regulieren. Nach der Zuckerbilanz nach Prof. Katsch, machte ich mich wieder für die Woche fit, ich wusste ja wie.
Mit den Jahren bestätigte sich: Wissen und Disziplin sind nötig, sich nicht als Kranker zu fühlen, sondern als „bedingt gesunder Mensch“, wie Prof. Gerhardt Katsch einst sagte.
Alles vergeht – Neues entsteht. Durch meine Aufenthalte in Karlsburg, dann in Saalfeld, war ich immer informier t über neue Insuline, neue Therapien, Spritztechniken und Ernährung. Durch das Diabetes-Betreuungssystem hatte ich immer Kontakt zu meiner Diabetologin. Immer hatte ich Fragen auf meinem Zettel und wollte es wissen. Wenn ich die letzten 50 Jahre überblicke, stelle ich fest, jeder Diabetiker muss am Ball bleiben, muss selbst testen, was er sich abverlangen kann, auch von der Gesellschaft. So habe ich z.B. 40 Jahre am Betriebsessen (ohne Zucker) teilgenommen und in Rostock, während des Studiums, Mittag im Krankenhaus erhalten.
Für mich gehörte auch zum Selbstmanagement, erfüllbare Forderungen durchzusetzen. Ich fand dafür immer wenig Mitstreiter. Das änderte sich nach der Wende, also vor 25 Jahren, auch für uns Diabetiker.
Die Dispenser-Abteilung für Diabetes in der Poliklinik löste sich auf und in Berlin trafen sich in Lichtenberg einige Initiatoren für die Schaffung von Selbsthilfegruppen (SHG). Ich nahm mehrfach daran teil, sammelte Erfahrung und mit Unterstützung von Prof. Vetter, langjähriger Bezirksdiabetologe, gründeten wir am 12. Mai 1990, im Krankenhaus Mahlow den „Bund der Diabetiker“ im damaligen Bezirk Potsdam. 1991 verbündeten sich dann die drei Bezirke Potsdam, Frankfurt/Oder und Cottbus zum Landesverband Brandenburg. Anfangs als Schatzmeister (ohne Geld), dann 8 Jahre als stellv. Vorsitzender und habe in der Prignitz/ Ostprignitz 10 SHG aufgebaut. 2013 leitete ich selbst 4 SHG und führte alle Schulungen selbst durch. Über 20 Jahre führte ich mit Diabetikern Urlaubsreisen durch, d.h. über 35 Tagesfahrten und über 20 Wochenfahrten per Bus oder Flug in Deutschland und Europa. Als Reiseleiter sicherte ich in den Hotels die diabetische Ernährung, machte Blutzucker- und Blutdruckmessungen, u.a. auch Betreuung. Auch gehbehinderte und Rollstuhlfahrer nahmen teil. Solche Fahrten waren Erlebnisse und zugleich festigten sie das Management des Einzelnen. Als Gebietsleiter war ich Kontaktperson zur Diabetes-Rehaklinik Hohenelse/Rheinsberg und Asklepiosklinik Birkenwerder. Durch diese Zusammenarbeit ergab sich die Möglichkeit, in Hohenelse ein Diabetesmuseum aufzubauen. Ich hatte alle DDR-Materialien für Diabetes gesammelt, dazu Materialien der Klinik und das Neue aus der Bundesrepublik dazu. Die damalige Ministerin Regine Hildebrandt konnte das Museum einweihen (im September 1999) und es wird seit Jahren auch für die Patientenschulung genutzt. Gruppenbesuche begleite ich und halte Vorträge. Den Teil Spritztechnik habe ich noch ergänzt durch den Nachweis, dass der erste Pen in Gemeinschaft DDR/CSSR entwickelt und produziert wurde. Ausgestellt ist das Original-Forschungsmaterial. Der Beteiligte, Prof. Bruns übergab mir die Nr. 6 der Erstproduktion.
Als Mitbegründer des Seniorenbeirates der Stadt habe ich 10 Jahre den Gesundheitstag organisiert mit dem Schwerpunkt Diabetes. Im November führten wir Aktionstage in Apotheken oder podologischen Praxen durch. Trotz vielfältiger Aktionen erreichen wir die Jugend nicht. Unsere Altersgruppen liegen ab 70 Jahre. Die Altersbeschwerden nehmen zu, da ist kein Gruppensport möglich. Auch Turnhallen sind belegt und teuer. Also, Bewegung am Platz. Die Sparkasse sponserte uns Kleinsportgeräte wie Knetbälle, Fußroller, Gummibänder, u.v.m.. Größere Probleme gibt es immer bei der Berechnung der Ernährung. Lebensmittel, die über die Grundnahrungsmittel hinausgehen, werden vernachlässigt oder unterschätzt. So haben wir oft an der Tafel „theoretisch“ Kuchen oder Kekse gebacken, die Zutaten in KH addiert und dann für das Stück ermittelt. Nach Wegfall der „Diätware“ fällt es vielen Diabetiker schwer, die Angaben auf der Verpackung selbst in die nötigen BE zu berechnen.
Es tut mir weh, dass ich nach 25 Jahren aktiver, ehrenamtlicher Arbeit nicht mehr aktiv sein kann. Mit dem 80. Lebensjahr habe ich alle Verantwortung abgegeben. Die Kraft reicht nicht mehr aus, um die gestellten Anforderungen zu bewältigen.
Mehr Zeit im Alter benötige ich für meinen Diabetes. Noch habe ich mit meinen 57 Spritzjahren kaum diabetesbedingte Spätschäden, außer leichter Neuropathie und labilen Blutdruck.
Ich bin Träger der Ehrennadel in Silber des DDB und erhielt 2008 die Urkunde für „50 Jahre Diabetes“ der Diabetes-Akademie. Seit 2013 habe ich den „Freiwilligen-Pass“ für bürgerliches Engagement des Landes Brandenburg.
Veröffentlicht: 2015