Monika Mantel

(65 Jahre Diabetes)
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Mein Lebenspartner heiß Diabetes Mellitus, er ist seit 65 Jahren mein treuer Begleiter, unermüdlich an meiner Seite. Es war ein Tag in den Herbstferien 1960, als meine Mutter plötzlich meinte: „Du bekommst keinen Kuchen (es war Samstag, meine Mutter hatte unseren klassischen Familienkuchen gebacken), überhaupt nichts Süßes mehr. Du hast Zucker.

Mein großes Glück war, meine Mutter war von Beruf Diätassistentin, hatte die letzten Kriegsjahre in einem Stuttgarter Krankenhaus die Diät- Patienten bekocht (Nieren- und Magenkranke, auch Zuckerkranke). Daher gab’s in dem Kriegshaushalt meiner Großmutter immer ausreichend Butter, denn Zuckerpatienten wurden in dieser Zeit mit viel Fett versorgt, zum Sattmachen, Kohlenhydrate waren noch sehr wenig erlaubt). Somit hatte meine Mutter sowohl die ersten Anzeichen (riesengroßer Durst) erkannt, als auch die Ernährungsgrundlagen sofort umgesetzt. Es wurde ganz einfach die Ernährung für die ganze Familie umgestellt – das hat allen gut getan. Es gab ja auch schon völlig andere Erkenntnisse: Ballaststoffreich, Fett, Eiweiß und Kohlenhydrate in einem ausgewogenen Verhältnis. 

Aber in dieser Zeit mussten die Spritzen noch ausgekocht und die Nadeln an der Unterseite eine Porzellantellers geschärft werden. Wir mussten anfangs alle 6 Wochen einen 24 Std.-Sammelurin beim Arzt bzw. im Krankenhaus abgeben und da wurde auch Blut entnommen. Der Diät- und Insulinplan war streng reglementiert, ich bekam einige Zeit 4x eine Insulinspritze (die vierte um Mitternacht). Meine Mutter war ganz schön gefordert.

Ich wurde im zweiten Jahr im Sommer in ein Diabeteslager geschickt (Bad Salzdetfurth), da wurde mir als erstes beigebracht, mich selbst zu spritzen – mit einer Metall-/ Glasspritze und einer ca. 3cm langen Nadel. Ich erinnere mich noch an einen Jungen dort, der immer alles getan hat, um einen Unterzucker zu bekommen – er fand das Gefühl so schön (berauschend). Wir hatten viel Spaß dort und haben viel gelernt. Insgesamt war ich in drei Diabetes-Sommerlagern, jedesmal lehrreich, aber auch schön und fröhlich.

In der Schule hatte ich keine Schwierigkeiten mit meiner Zuckerkrankheit, meine Mutter hat’s den Lehrern erklärt und alle haben Rücksicht genommen. Vom Turnen war ich befreit, weil man Angst vor Unterzuckerungen hatte.

Ich bekam jeden Tag eine Rippe Diätschokolade, damit ich nicht in Versuchung komme. Wenn ich zu einem Kindergeburtstag eingeladen war ,hat mir meine Mutter einen kleinen Kuchen gebacken (auf den alle anderen neidisch waren – meine Mutter konnte sehr gut backen), damals noch mit Sionon oder Fruchtzucker.

„Gesündigt“ habe ich erst in der Pubertät, das war eine schwierige Zeit. Ich erinnere mich noch an ein Banana-Split (Eisspezialität) nach der Schule und danach fuhr ich mit dem Rad nach Hause zum Mittagessen. Erzählt habe ich natürlich nichts, extra Spritzen für „Sünden“ waren damals noch keine Option…

Mir wurde von Anfang an erklärt, dass ich keine Kinder bekommen darf. Mein Internist meinte im entsprechenden Alter: Wenn Du schwanger wirst, treiben wir’s ab. Die Kinder von Diabetikerinnen wurden zu schwer und man holte sie per Kaiserschnitt ca. im 7. Monat.

Später, als ich in Discos zum Tanzen war, habe ich immer einen Orangensaft getrunken, das war wahrscheinlich der richtige Ausgleich zum Tanzen. Man hatte in den 60er-Jahren noch so wenig Ahnung. 

Erst Mitte der 70er-Jahre bekam ich Einwegspritzen, das war schon eine große Erleichterung, besonders auf Reisen.

Ein Blutzucker-Messgerät vermutlich Anfang der 80er-Jahre.

Im Jahr 1986 kam ich als Notfall ins Schwabinger Krankenhaus, wo ich völlig neu eingestellt und geschult wurde. Da ich abnehmen sollte (vom Normalgewicht zum Idealgewicht) war ich

ständig unterwegs und habe daher leider die Chefvisite verpasst. Professor Mehnert war da und meinte zu meinem Fall: „Erstaunlich, eine Patientin, die 26 Jahre Diabetes und keinerlei Spätschäden hat.” Das hätte ich gerne persönlich gehört!

Als ich Ende der 90er-Jahre in Kur war, erklärte mir der dortige Chefarzt, ich hätte sehr gute Gene und es wäre nicht sehr wahrscheinlich, dass ich jemals Folgeschäden bekomme. Selbstverständlich achte ich sehr auf meinen Diabetes, habe seit Beginn Freestyle Libre, trage inzwischen eine Pumpe, Closed Loop.

Die technische Entwicklung ist beeindruckend, aber ich finde, inzwischen bestimmt mein Diabetes wirklich mein Leben, pausenlos. Da mein Blutzucker unglaublich schwankt, ich aber einen sehr geringen Insulinbedarf habe, bekomme ich sehr viele Warnungen, jeden Tag. Aber wenigstens erspart mir das meine gravierenden Unterzuckerungen, die mich manchmal blitzschnell erwischt haben. Zum Glück habe ich nie ein Geheimnis daraus gemacht, es ist ja keine Schande, Diabetiker zu sein.

Jetzt bin ich 75 Jahre alt, fit und lebendig und ich denke, ich habe noch gute 20 Jahre vor mir….

Mit „süßen“ Grüßen

Monika Mantel

Veröffentlicht: 2025

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