Mit 14 Jahren bekam ich die Diagnose Diabetes Typ 1. Meine Mutter hatte als MTA (Anm. Medizinisch-technischer Assistentin) viel Ahnung und war eine oft strenge Lehrmeisterin, wofür ich ihr aber im Rückblick sehr dankbar bin. Sie ließ mir alle Freiheiten, aber immer mit dem Satz: „Du musst selbst auf Dich aufpassen.“ Wir fanden einen wunderbaren Arzt, der mich Jahrzehnte begleitete und mich durch die Höhen und Tiefen meines „Zuckers“ trug.
Auch ich fing mit Glasspritzen an, die einzige BZ-Kontrolle waren die Urinstäbchen. Wehe, sie waren grün. Das tierische Insulin und die damit verbundenen strengen Regeln beim Essen brachten mir sehr früh, wenn auch hart, die nötige Disziplin bei. Irgendwann nahm ich dann mein erstes Blutzuckermessgerät in Empfang, das etwa die Größe eines Kassettenrekorders hatte und ständig geeicht werden musste. Aber ich war stolz und fühlte mich wieder ein Stück selbstständiger.
In der Schule traute ich mich lange nicht über den Diabetes zu sprechen. Ich wollte sein wie die anderen. Das half mir aber später dabei, den Diabetes in mein Leben zu integrieren und trotzdem so normal wie möglich alles mitzumachen. So bekam ich drei Kinder, was in den 1970er Jahren von vielen Seiten als Abenteuer gesehen wurde. Einige Ärzte kannten sich nicht wirklich aus damit. Aber ich vertraute meiner inneren Stärke und alles ging gut.
Wenn ich heute an meine Afrikareise denke, bei der ich mit viel zu wenig Kanülen und einer Rolle trockener Kekse (das afrikanische Essen war nicht immer parat) sogar mehrere Tage in einem Dorf in Ghana ohne Strom und Hygiene verbrachte, wundere ich mich selbst über meinen Mut, aber ich möchte keine Minute missen.
30 Jahre war ich im ambulanten Pflegedienst tätig und auch dort kam ich ganz gut zurecht. Natürlich kenne ich auch Unterzuckerungen und da ich diese auf Grund der langen Dauer meines Diabetes nicht mehr gut merke, musste ich nochmal lernen, immer genügend Traubenzucker o.ä. dabei zu haben. Das Warnsystem von Freestyle Libre ist ein Geschenk für mich.
Mit Einführung der intensivierten Therapie und dem Insulin, das endlich wieder normales Essen ermöglichte, wurde mein Leben eigentlich immer einfacher. Trotzdem ist es so, dass man ja immer und immer an die Zuckerwerte denken muss und das ist eine wirklich einschneidende Besonderheit des Lebens. Wenn meine Familie oder Freunde also sagen, sie merken gar nicht, dass ich Diabetes habe, so bin ich einerseits stolz. Andererseits habe ich aber gelernt, heute mehr mitzuteilen, wenn es mir mal nicht so gut geht und ich z.B. längere Wanderungen nicht einfach so mitmachen kann.
Im Ruhestand freue ich mich jetzt, wenn meine Enkel mir die Süßstofftabletten in den Kaffee einstreuen wollen oder verstehen, dass sie nicht an meinem Sensor ziehen dürfen, wenn ich sie auf dem Arm halte. 51 Jahre ohne Spätschäden, obwohl ich auch Phasen habe und hatte, in denen ich über die Stränge schlage, erfüllen mich mit Dankbarkeit. Ich wünsche gerade jungen Menschen, dass sie trotz der Diagnose optimistisch und mutig in die Zukunft blicken.
Veröffentlicht: 2022