Über 50 Jahre Diabetes – na und!
Es war 1959, ich war 19 Jahre alt, als ich nach zwei Nebenhöhlen-Operationen (1958 und 1959, OP durch den Kiefer links und rechts) den Diabetes bekam. Bis auf den starken Durst, das Wasserlassen und den Juckreiz fühlte ich mich absolut fit und sehr lebenslustig.
Den Eltern sagte der Hausarzt, dass ich nur noch ein, höchstens zwei Jahre zu leben hätte. Ich hörte das und plante, gleich den Führerschein zu machen, einen VW vom Ersparten zu kaufen und mit unbekanntem Ziel so lange zu fahren, bis das Leben vorbei wäre.
Es kam anders: Das große Glück war Prof. Platon Petrides, Chefarzt und Spezialist für Diabetes im Bethesda-Krankenhaus in Duisburg, der sich sehr um seine Diabetes-Patienten kümmerte. Sein Wahlspruch war: Diabetes ist keine Krankheit, sondern eine bedingte Gesundheit!
Mit den Mitpatienten wurde ich täglich geschult und im Sportraum zum Radfahren angehalten. Andere Geräte hatte die Klinik nicht. Meine Mutter bekam die Aufforderung, am Diätkochen teilzunehmen. Bereits die erste Spritze gab ich mir selbst. Ich sah nicht ein, später damit anzufangen, wenn ich es doch mein ganzes Leben lang tun müsse. Die Umstände mit permanentem Auskochen der Spritzen und alle vier Wochen Zuckerkontrolle beim Hausarzt waren lästig, wurden aber zur Gewohnheit.
Damals arbeitete ich bei einer Bank, die viel Verständnis für meine Situation aufbrachte und mir ein sattes Taschengeld für den Kuraufenthalt in Bad Neuenahr, der Hochburg für Diabetiker, zukommen ließ.
Mit den Unterzuckerungen konnte ich umgehen. Die erste Ohnmacht erlebte ich erst, nachdem ich (mit 65 Jahren) in Rente gegangen war.
Schwer war die Schwangerschaft. Mein Sohn kam als 8-Monatskind zur Welt, wog 9,5 Pfund und war 58 Zentimeter groß. Heute ist er 50 Jahre alt und – Gott sei gedankt – gesund. Eine zweite Schwangerschaft haben mein Mann und ich nicht mehr gewagt.
In den 80er Jahren kaufte ich das erste Blutzuckermessgerät bei Quelle für 500,00 DM. Gerät und Messstäbchen mussten damals noch selbst bezahlt werden. Um zu sparen, halbierte ich die Messstäbchen und kam so auf die doppelte Menge.
Der Tod meines Mannes 1996 katapultierte mich in ein großes Tief. Doch nach geraumer Zeit fand ich glücklicherweise Kraft und Gelegenheit, im Beruf als Salesmanagerin Karriere zu machen. Ich habe dadurch viele Städte in Europa kennengelernt. Bis zu meinem 65. Lebensjahr konnte ich arbeiten.
Bis heute, inzwischen 74-jährig, betreue ich Schüler und Schülerinnen mit anderen Ehrenamtlichen zweimal in der Woche bei den Hausaufgaben und leite mit einer anderen Ehrenamtlichen seit über drei Jahren einen Deutschkurs für Migrantinnen in meiner evangelischen Kirchengemeinde. Diese Beschäftigungen und das Singen in einem Chor bringen Freude und Freundschaften. Langeweile ist ausgeschaltet.
Natürlich gab und gibt es immer wieder gesundheitliche Behinderungen, aber dank einer guten Diabetologin und einem disziplinierten Verhalten macht das Leben immer noch Spaß. Bei allen guten Ereignissen darf man das Geburtsdatum nicht vergessen. Altern ist ein natürlicher Prozess – auch mit einem Diabetes.
Zu sagen wäre noch, dass ich seit 2007 Pumpenträgerin bin. Eine große Erleichterung!
Veröffentlicht: 2014