Ich erhielt die Diagnose mit meinem 8. Lebensjahr mit der Aussage unseres Hausarztes, dass ich nicht älter als 40 Jahre werde, was meine Eltern sehr bestürzte, da ich ihr einziges Kind war.
Oft verbrachte ich viele Wochen im Krankenhaus, natürlich ans Bett gefesselt, denn Bewegung für einen Diabetiker, das geht gar nicht. Das Resultat daraus war, dass ich nach ca. 5 Wochen Krankenhausaufenthalt schnell wieder mit einer Unterzuckerung drinnen war.
Es war sehr schwer nach Plan und mit einer Spritze am Tag zu leben. Die Spritze erhielt ich von einer Ordensschwester, die jeden Morgen zu uns in die Wohnung kam, um mich zu spritzen. Im Laufe der Jahre lernte ich dies selber zu machen mit Spritzen, die auf Knopfdruck mein Bein zerschossen. Ich habe heute noch die Narben davon.
Alle 6 Wochen musste ich morgens mit dem Fahrrad ins 10 km entfernte Krankenhaus fahren zur Blutzuckerkontrolle. War der Zucker zu hoch landete ich wieder für ein paar Wochen im Krankenhaus. Weil man als Kind erfinderisch ist, habe ich den Tag zuvor weniger gegessen, um den Wert zu verfälschen, denn die HbA1c-Wertermittlung gab es noch nicht. Da mein Aufenthalt im Krankenhaus mehrmals im Jahr war, lernte ich auch die Diabetes Kinderklinik in Bonn kennen, doch hier war es sehr streng und wir Kinder hatten immer Hunger. Eines Nachts haben wir die Küche aufgebrochen und uns alle satt gegessen, mit fatalen Folgen.
Ich lag hier auch wochenlang ohne dass meine Eltern mich besuchen konnten. Sie besaßen kein Auto und hatten auch nicht die finanziellen Mittel, um sich eins zu leisten. Sie waren noch nicht mal in der Lage mir eine sogenannte ausgewogene Ernährung präsentieren zu können. Es gab zwar das Wirtschaftswunder, doch nicht jeder konnte daran teilhaben. Mein Vater war Kranfahrer in einer Fabrik und meine Mutter ging putzen und war auch noch sehr Herzkrank.
Das Leben nach Plan prägte mich, infolge der vielen Krankenhausaufenthalte waren meine schulischen Leistungen sehr bescheiden.
Die Medizin fing an sich zu ändern, ich spritzte zwischenzeitlich zweimal täglich diverse verschiedene Insulinsorten im Laufe der Jahre (Schwein, Rind usw.). Ich lernte mehr und mehr damit umzugehen, Nebenwirkungen und Folgen des Diabetes sind bis dahin ausgeblieben.
Ich versuchte mein schulisches Defizit dann über den zweiten Bildungsweg zu verbessern und es gelang mir so einiges bis hin zum Studienabschluss als Betriebswirt.
Ich habe mit 23 Jahren geheiratet und mit 32 wurde mein Sohn geboren, frei von Diabetes.
Ich lernte individuell zu spritzen und auch meinen Blutzucker selbst zu messen, was ein riesen Fortschritt war. In der Klinik Hochstatten in Bad Neuenahr verpasste man mir eine Insulinpumpe, der ich anfangs sehr skeptisch gegenüberstand. Zwischenzeitlich hatte ich durch den Diabetes leichte Blutungen am Augenhintergrund, die aber durch die Behandlung mit der Insulinpumpe wieder völlig verschwanden. Ich wechselte nochmals den Beruf und ging in den öffentlichen Dienst als Beamter, da ich immer noch sehr bedacht war auf meine Gesundheit und ein Bürojob für den Diabetes nur förderlich sein konnte.
Die Pumpe ist heute noch fester Bestandteil meines Lebens, allerdings lebe ich nicht mehr nach Plan, ich brauche nicht mehr Brot und Aufstrich zu wiegen, ich lebe wie ein ganz normaler Mensch.
Ausgerüstet bin ich heute mit 70 Jahren mit einem Sensor (Dexcom G6) und lese die Blutzuckerwerte auf meinem Handy ab, ebenfalls benutze ich dieses zum Spritzen und zur Steuerung meiner Pumpe.
Ich bin begeistert wie weit es die Medizin geschafft hat und ich immer noch lebe, den mein Ablaufdatum ist inzwischen um 30 Jahre überschritten und ich fühle mich immer noch sehr wohl. Mein HbA1c-Wert liegt bei 6.
Veröffentlicht: 2023