Das Jahr 1950 habe ich noch in guter Erinnerung. In diesem Jahr war ich von einem großen Durstgefühl befallen und wurde körperlich immer schwächer, sodass ich bei unserer Kartoffelernte nicht mitarbeiten konnte.
Die Untersuchung durch unseren Hausarzt ergab, volkstümlich genannt: zuckerkrank, so dass eine Einweisung ins Fehmarnsche Krankenhaus unumgänglich war. Acht Wochen dauerte im Jahre 1950 die Neueinstellung auf Insulin. Nach zwei Jahren war ein solcher Aufenthalt wieder notwendig. Als Schüler war es sehr schwer, den Unterrichtstoff für diese Zeiten aufzuholen. Auf die Frage „Was bedeutet zuckerkrank?“ wurde mir von den Ärzten nur mitgeteilt, die Bauchspeicheldrüse arbeitet nicht mehr und das Insulin muss durch Spritzen dem Körper zugeführt werden. Ich wurde auf Insulin vom Rind 1x am Tag – morgens – eingestellt und die damaligen Ärzte – für die war die Zuckerkrankheit auch Neuland – probierten immer wieder neue Einstellungen aus, so dass solche langen Aufenthalte im Krankenhaus zum Tragen kamen.
Von Selbstkontrollen und Schulungen war man damals meilenweit entfernt. Man wurde auf 12-14 Kohlenhydrate und bestimme Insulineinheiten eingestellt. Die Essensportionen mussten von der Mutter genau abgewogen werden. Die Eltern waren immer in großer Sorge, dass ich leichtsinnig wurde und mir heimlich Süßigkeiten kaufte. Ob der Zuckerspiegel hoch war oder, ob eine Unterzuckerung bestand, war dem Zufall überlassen. Sehr schwere Jahre für einen jungen Diabetiker.
Die Jahre verliefen in diesem Zustand und im Jahre 1971 musste ich das Oldenburger Krankenhaus wegen einer Operation aufsuchen. Dabei wurde durch den Diabetologen Dr. Klein ein HbA1c-Wert von über 9% festgestellt. Es erfolgte sofort eine Insulinumstellung. Dort wurde ich auf mehrmaliges Spritzen mit Humaninsulin eingestellt und die tägliche Selbstkontrolle wurde mir beigebracht, ein Segen für alle Diabetiker. Der HbA1c-Wert konnte mit der Zeit schnell auf unter 7% gebracht werden und der Wert 7 war für mich in Zukunft eine sehr wichtige Zahl.
Im Jahre 1972 erhielt ich eine Kur im Diabetikerzentrum in Mölln. Der leitende Arzt war auch Diabetiker und von ihm bekamen wir in Schulungen immer wieder vor Augen gehalten, welche schwerwiegenden Auswirkungen später eine schlechte Einstellung für einen Diabetiker haben kann. Verengung der Adern, dadurch Durchblutungsstörungen in den Beinen, in den Nieren und in den Augen. Besonders wurde auf das Nierenversagen hingewiesen, bei dem eine Nierendialyse unumgänglich wird. Ich möchte nicht erleben, dass mir ein Bein amputiert wird oder ich 3x in der Woche an die Dialyse wegen schlechter Nierenwerte angeschlossen werden muss. Die einzige Unterzuckerung mit Bewusstlosigkeit in meinem Leben erlebte ich während des Kuraufenthaltes in Mölln. Dieser Aufenthalt in Mölln brachte für mich große entscheidende Hinweise, die ich anschließend noch konsequenter befolgt habe.
Das in Oldenburg verabreichte Humaninsulin wurde vor Jahren von meinem neunen Hausarzt – Dr. Erben – durch Levemir ersetzt: morgens 24 Einheiten, mittags 17 Einheiten, abends 22 Einheiten; Actrapid: morgens 12 Einheiten, mittags 7 Einheiten, Abends 22.00 Uhr 5-7 Einheiten. Diese Umstellung hat sich sehr bewährt. Dr. Erben achtete immer besonders auf die Nierenwerte bei meinen vierteljährlichen Kontrolluntersuchungen und hat dafür gesorgt, dass meine Nierenfunktion durch Zugabe einer Tablette sehr gut ist. Einen sehr guten Augenarzt fand ich in Kiel, der mich in den letzten 25 Jahren grundsätzlich halbjährlich zur Augenkontrolle bat. Noch heute lese ich die Zeitungen ohne Brille.
Meine Frau wusste vor 1962, dass ich Diabetiker bin und hat einen sehr großen Anteil an meiner heutigen guten Gesundheit. Ich möchte nun mein tägliches Leben in den letzten 40 Jahren schildern:
Morgens: grundsätzlich 2 Scheiben Schwarzbrot mit Quark und Pflaumenmus bestrichen
Mittags: 5-6 halbe Kartoffeln, Gemüse, aber grundsätzlich ohne Saucen.
Nachspeise: Rhabarberpudding, Obst, Vanillepudding oder Joghurt
Abends: 2 Scheiben Brot mit Quark und Pflaumenmus bestrichen. Oft auch Tomatenbrote. Am Tag esse ich zudem 2-3 Äpfel.
Sonstige Nahrungsmittel: Erdbeeren, Kirschen, Bananen und Pflaumen in begrenzter Zahl und höchstens eine Kugel Eis in der Woche.
Alle Mahlzeiten wurden in all den Jahren fettarm und grundsätzlich ohne Zucker zubereitet. Ich esse wenig Fleisch und auch sehr wenig Wurst- und Käsesorten. Trinke nur Mineralwasser. Auf Bier, Wein, Sekt oder alkoholische Getränke, Süßigkeiten sowie sämtliche Kuchengebäcke (Torten) verzichtete ich in all den Jahren. Rauchen war für mich ein Fremdwort. Für all diese Entbehrungen ist natürlich eine sehr große Selbstdisziplin erforderlich.
Auch den Rat der Ärzte habe ich befolgt, sich körperlich zu betätigen. In den Anfangsjahren betrieb ich viel Sport – Fußball, Radfahren und habe in der Landwirtschaft bei den Eltern viele Stunden verbracht. Unser Eigenheim habe ich 1968 in Eigenleistung erstellt und 1996 beim Eigenheim meiner 1. Tochter als Handlanger mitgeholfen. Anschließend wurden Umbaumaßnahmen bei der 2. Tochter vorgenommen.
Als Rentner habe ich ehrenamtliche Tätigkeiten (Bsp: Sportplatzarbeiten) und Gartenarbeiten bei Nachbarn übernommen, um immer tätig zu sein. Der Körper braucht dadurch weniger Insulin. Die Warnzeichen für Unterzuckerungen bei körperlichen Arbeiten muss man aber rechtzeitig erkennen. Aus diesem Grunde nahm ich dann um 2.30 Uhr nachts eine Kontrolle vor, um gegensteuern zu können.
Die letzten Untersuchungsergebnisse vom 06.11.2013 stelle ich gerne zur Verfügung:
HBA1 = 6,7; HBA1CA = 49,7; Chol = 132 CREA = 0,59
Mikral = 21(15.8.13); Chol = 132 TRIG = 90; HDL = 36
LDL = 78
In den letzten 30 Jahren war der Blutdruck immer konstant und zeigte einen Wert von 120-130/80. Ich möchte noch erwähnen, dass ich in den 63 Diabetiker-Jahren 4x ein Krankenhaus wegen einer Neueinstellung aufgesucht habe. Ich will nicht verheimlichen, dass mein HbA1c– Wert die 7 nach der Einstellung auf Humaninsulin mit mehrmaligen Spritzen auch mal überschritten hat. Für mich war genau das immer ein Ansporn, eine Sechs vor dem Komma zu erzielen.
Die Jahre 1950-1970 als Diabetiker sind nicht mit der heutigen Zeit zu vergleichen. Heute sind wir Diabetiker gut geschult und durch die tägliche Selbstkontrolle dem damaligen Zufall entronnen. Jeder Diabetiker muss unbedingt an sich selbst arbeiten und nicht glauben, dass man dem Körper mit täglichen Insulinkorrekturen einen guten Gefallen macht. Körperliche Tätigkeiten sind für Diabetiker enorm wichtig. Ich verzichte lieber auf die kalorienreichen Nahrungsmittel (Torten, Kuchen Süßigkeiten usw.) und ich weiß, mein Körper dankt es mir jeden Tag. Für jeden Diabetiker ist die Krankheit natürlich eine Belastung, die aber in der heutigen Zeit sehr gut zu bewältigen ist und ich betone nochmals: Voraussetzung ist natürlich eine sehr große Selbstdisziplin beim Essen und man sollte versuchen, den Tag möglichst mit körperlichen Tätigkeiten auszufüllen.
Veröffentlicht: 2014