Eleonore Orlemann

(59 Jahre Diabetes)
Eleonore Orlemann

Bevor ich 1955 Diabetes bekam, war ich ein dickes, glückliches Kind, das schon seit fünf Jahren neben einer Bäckerei und Konditorei wohnte. Diese besuchte ich (fast) täglich, was sowohl zu meinem Gewicht, als auch zu meinem Glück beitrug. Als der Zucker festgestellt wurde, durfte ich mir dort nichts mehr von meinem Taschengeld kaufen und auf meine Frage nach dem warum, erhielt ich die, für eine 5-Jährige nicht sehr überzeugende Antwort: „Du bist jetzt eben zuckerkrank!“

Eine Weile vorher hatte ich täglich 5-8 Literflaschen Limonade getrunken und hatte immer noch das Gefühl, ich verbrenne vor Durst, so dass ich oft am Wasserhahn hing und trank und trank. Erstmals nach fünf Jahren entließ ich das auch wieder nachts ins Bett und man riet meiner Mutter, einmal mit einer Flasche Urin in eine Apotheke zu gehen. Der Apotheker erklärte meiner Mutter, dass das Kind sofort in ein Krankenhaus müsse, sie lief jedoch mit einer weiteren Flasche Urin in die nächste Apotheke, wo ihr ein ähnlicher Ratschlag gegeben wurde. Mit einer dritten Flasche Urin zog sie in die dritte Apotheke und dieser Apotheker half ihr dann weiter.

Ich spielte gerade, todmüde und durstig mit meiner Oma im Hof Federball, als es klingelte und zwei weiß-gekleidete, kräftige junge Männer mit einer Liege in den Hof gestürmt kamen. Ich hatte das unangenehme Gefühl, die kämen wegen mir und nach einem kurzem Sprint durch den Garten fingen sie mich ein; der Kampf war kurz und schmerzhaft. Auf der Liege sitzend wurde ich aus dem Hof auf die Straße getragen und in einem Krankenwagen in die Mainzer Kinder-Uniklinik gebracht, wo ich erstmal sechs Wochen blieb.

In den folgenden Herbst-, Winter-, Frühjahrs- und Sommermonaten war ich immer wieder wochenlang dort und kam in der Schule kaum noch mit. Hatte ich dort endlich wieder Anschluss gefunden, musste ich auch schon wieder nach Mainz ins Krankenhaus. Ab meinem 14. Lebensjahr galt ich dort nicht mehr als Kind, ergo musste ich auf die innere Station des Rüsselsheimers Stadtkrankenhauses, wo die Ärzte mit einem jungen Diabetes mellitus Typ 1 völlig überfordert waren.

Etwas später begann ich meine berufliche Odyssee: Die Eltern wollten mich hinter einer Glasscheibe bei Bank oder Post beschützt wissen und so tat ich ihnen ein paar Jahre den Gefallen, Büroarbeit zu tun, wollte aber (schon immer) Kindergärtnerin werden, was ich dann auch durch setzte. Eines Tages erzählte mir eine Arbeitskollegin von einer Stoffwechselklinik im Harz, die über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt sei und ich solle doch mal dort vorstellig werden. Erst sehr zögernd dann aber immer begeisterter besuchte ich ab 1978 dieses Haus, das mir bei jedem neuen Aufenthalt eine neue Überraschung bot.

Seit 1980 trug ich immer kleiner werdende Insulinpumpen und bin entgegen der Vorhersage eines Arztes – ich würde voraussichtlich keine 14 Jahre alt werden – jetzt 63 Jahre geworden und kann auf 58 Jahre Diabetes zurückblicken und sagen: Er ist mein bester Freund, er lässt mich nie im Stich.

Veröffentlicht: 2014

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