Christa Uhlig

(76 Jahre Diabetes)
Christa Uhlig

Aus meinem Diabetiker-Leben seit 1937

Kaum einer weiß heute noch, wie es um den Diabetes vor dem 2. Weltkrieg bestellt war.

So möchte ich heute nun darüber berichten: Als 5-jähriges Mädchen, vorher rund und pausbäckig, nahm ich immer mehr ab und mochte nicht essen. Wir wohnten auf dem Lande, meine Eltern suchten verschiedene Ärzte auf, keiner konnte recht helfen. Sie rieten dazu, andere Kinder einzuladen, damit ich deren Appetit sehen sollte und dann selbst zum Essen angeregt würde. Man verschrieb Luftveränderung, nichts half; nur der Durst wurde immer schlimmer. Meine Eltern teilten mir in Sorge – da ich nicht aß – das Trinken zu: Ich bettelte um Getränke bei Nachbarn! Von der Schuleinführung wurde ich zurückgestellt, da ich zu schwach war. Da ich fast nur noch im Bett lag, gingen meine Eltern in ihrer Not zu einem jungen, erst zugelassenen Arzt – zu dem man im Ort nur wenig Vertrauen hatte – wer wusste schon 1937 auf dem Land über Diabetes Bescheid?! Er kam, sah mich an, ließ sich berichten und nahm eine Urinprobe von mir mit. Innerhalb kürzester Zeit kehrte er mit dem Auto zurück und fuhr mich selbst nach Dresden ins Johannstädter Krankenhaus, da keine Zeit zu verlieren war. Meine Eltern mussten mit der Beteuerung – man werde sein Möglichstes tun, mich über den Berg zu bringen – in Ungewissheit nach Hause fahren.

Doch wie Sie sehen – die Ärzte schafften es, mich aus dem diabetischen Koma zu holen. Schon in diesen Tagen, als Fünfjährige, brachte man mir die Selbstüberwindung bei, mich selbst zu stechen; obwohl ich als Kind immer von meiner Mutter gespritzt wurde.

Doch nun zu den Tagen des Kriegsendes: Durch Bombardements – auch der Lazarettzüge – gab es kein Insulin mehr. Das für unser Überleben benötigte Medikament versuchte man durch Tabletten zu ersetzen – Fehlschlag. Fieberhaft wurde in den teilweise zerstörten Fabriken und anderswo in den Betrieben versucht, Insulin, ungereinigt, vom Schwein herzustellen. Ergebnis: Furunkulose! Und es gab nirgendwo eine Zuteilung!!

Meine Eltern, die im Krieg, durch meine unheilbare Krankheit, schon ausgesteuert, für jedes Fläschchen Insulin 3,65 Mark bezahlten – eine hohe Summe bei dem damaligen Verdienst und den Lebensmittelpreisen – versuchten nun für teures Geld auf dem Schwarzmarkt Brot zu erwerben. Mit diesem gingen sie zu Leuten, die Verwandte im Ausland hatten und dadurch Zugang zu Insulin (als guten Erwerb) und holten für mich Rettung für einige Tage Leben – auch von ihnen teuer bezahlt! Sehr lobend muss ich in dieser Zeit die Kirche und Charitas hervorheben, die uns auch Spendeninsulin zur Verfügung stellten.

Nun stellen Sie sich als moderner, geschulter Diabetiker vor, was für eine gesundheitliche Belastung diese wöchentlich anderen Insulinsorten für meinen Organismus waren. Es war wie ein Wunder und auch Gottes Gnade, dass mir immer wieder geholfen wurde!

1947 fuhr ich mit meiner Mutter auf abenteuerlicher Reise (Zugabteile ohne Fenster, mit Brettern vernagelt, wir mehr über- als nebeneinander) zum ersten Mal zur Kur in das Diabetikerheim nach Garz auf Rügen. Dieses, wie später Karlsburg bei Greifswald, stand unter Leitung der mir hochgeschätzten Professoren Dr. Katsch und Mohnicke. Dort erhielten wir unsere ersten, für das Leben später so wichtigen Schulungen! Man höre!

Nicht erst seit heute sind sie wichtig für uns: Sind wir doch unser eigener „Arzt“ im täglichen Leben und gehen nur aller 4-6 Wochen zu unserer Diabetiker-Facharztberatung und müssen also über unseren eigenen Körper gut Bescheid wissen. Der oberste Leitsatz von Professor Dr. Katsch war: „Der Diabetiker ist bedingt gesund! Die Tugenden des Diabetikers sind: Mäßigkeit, Tätigkeit und Tapferkeit.“ (gut sichtbar an der Wand im sog. Grünen Haus bei der obligatorischen Visite) Da ist wohl nichts hinzuzufügen! Sie wurden auch Richtschnur für mein Leben.

Nun noch einiges am Rande zur Garzer Zeit und den ersten Jahren nach dem Krieg: Wenn wir neben der Arbeitstherapie! (Gartenarbeit, Bewegung) Zeit hatten, gingen wir Ähren lesen, Kartoffeln stoppeln oder tauschen bzw. hamstern (mit Süßstoff!) – vielen ehemaligen Bürgern aus der DDR aus dieser Zeit bekannt.

Später von 1951-53 arbeitete ich dann in Garz als Laborgehilfin; viele Angestellte waren Diabetiker. Wir aßen gemeinsam mit den Patienten im Speisesaal und unternahmen auch Ausflüge, Bade- und Radtouren zusammen. Wir waren wie eine große Familie, es entwickelten sich Freundschaften für das Leben. Die gesundheitliche Betreuung der Diabetiker zu DDR-Zeiten war lobenswert, dies darf man wohl sagen, ist für heute bedauerlich (siehe Gebühren für das lebensnotwendige Insulin und Diabetikergeld). Doch was soll es.

Lassen wir uns nie entmutigen, auch Sie nicht, denen ich heute etwas aus meinem 76-jähri­gen Diabetikerleben erzählt habe. Manch einer denkt manchmal, es geht nicht mehr weiter und warum das mir! „Wenn etwas gewaltiger ist als das Schicksal, so ist es der Mut, der es unerschütterlich trägt!“ sagte schon Beethoven zu seinem Schicksal. … und wir haben jetzt so viel mehr Möglichkeiten der Hilfe, als vor 76 Jahren.

Ich würde mich freuen, mal mit einem der „Alt“-Diabetiker in Verbindung treten zu können!

Veröffentlicht: 2013

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